MIT ODER OHNE HORN – DAS IST KEINE FRAGE.

Die Antwort geben wir unseren Käsefreunden mit einem Kapitelauszug aus dem wunderbaren und lehrreichen Buch «Kühe verstehen» von Martin Ott. Er ist Präsident des Stiftungsrats des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick (www.fibl.org), eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen für biologische Landwirtschaft. Das Buch ist erstmals 2011 im FARO-Verlag herausgekommen. Martin Ott ist Biolandwirtschaft- und Demeter-Pionier und gilt als der Fachmann für Milchkühe. Lesen Sie, was er und sein Team auf dem Gutsbetrieb des Forschungsinstituts herausgefunden haben und verstehen Sie, warum Kühe mit Hörnern glücklicher und ruhiger sind.

«Die Hörner (Seite 60-65, «Kühe verstehen»)

Wenn man eine Herde Kühe genau beobachtet, die Hörner tragen, sieht man sofort, dass die Kühe ihre Hörner als Kommunikationsorgane einsetzen. Man sieht, wie jede Kuh eine unsichtbare Zone von ca. 4 Metern um ihren Kopf herum vor sich her trägt. Die genaue Distanz variiert nach Stärke der Kuh. In diesen unsichtbaren Raum darf sich nur jemand wagen, der zuvor mit der Kuh Kontakt aufgenommen hat. Da die Kuh eher schlecht sieht, aber sehr gut hört, sieht sie wahrscheinlich nur die Grundbewegungen, das Schema, die Umrisse eines Körpers, deshalb sind die Hörner besonders wichtig, um den visuellen Kontakt herzustellen. Kühe, die sich gegenseitig über Jahre kennen, haben ein differenziertes Ausdrucks- und Sozialverhalten entwickelt, bei dem sie einander erlauben, näher zu kommen, einander Bedingungen stellen, ausdrücken (...) «ich will da und da geleckt werden», «du kannst vorbei», «lass mich in Ruhe» oder «Du bist mir egal». Das geschieht alles in kurzen Momenten über die Körperhaltung, vor allem aber über die Stellung der Hörner zum quadratischen Körper.

Neue Forschungen zeigen, dass in Freilaufställen Kühe mit Hörnern sich weniger häufig berühren als Kühe, die enthornt sind. Kühe, die ihre Hörner haben, lösen Konflikte visuell, bevor es schmerzt. Kühe, denen die Hörner weggenommen worden sind, puffen sich bis zu achtmal mehr gegenseitig in den Körper, um ihre Grenzen zu markieren. Puffen und Berühren bedeutet aber für die Kuh immer Stress.

Darum kann eine Kuhherde mit genügend Platz ihre Kommunikation mit den Hörnern harmonischer vollziehen und steht weniger unter Stress als eine Herde von Kühen, die wegen abgenommenen Hörner die Grenzen immer wieder durch einen Puffer mit dem Kopf in den Leib der Kontrahentin körperlich zeigen muss. Allerdings braucht ein Stall mit behorten Kühen mehr Platz für die einzelne Kuh.

Wenn wir eine Kuhherde auf der Weide beobachten, so müssen wir davon ausgehen, dass die Körperhaltung in dieser Herde und beim einzelnen Kuhindividuum nie irgendwie zufällig ist, sondern alles das Resultat eines gegenseitigen Netzes von stetig laufender und fliessender Kommunikation darstellt. Wir sehen hier die stärkste Kuh in der Mitte der Herde stehen, sie liegen auch in der Mitte, und wir sehen einen Ring ihrer Freundinnen um sie herum. Am Rand der Herde, meistens abgewendet, mit dem Hinterteil zu den Stärksten, finden wir die schwächeren Kühe oder jene, die Schmerzen haben (...) oder eine Zeit in Ruhe gelassen werden wollen (...). Ein guter Kuhhirt weiss genau, welche Kühe vorausgehen müssen und welche er besser hinten, in einer weniger intensiv umkämpften Zone belassen sollte, um die ganze Herde harmonisch und ruhig zu treiben oder ihm folgen zu lassen.

Hörner sind vorne sehr spitz. Für eine Kuh mit spitzen Hörnern ist es kein Problem, ihre Hörner als Waffe einzusetzen. Dies geschieht aber höchst selten. In unserem Stall habe wir Folgendes erlebt: nachdem wir einen Freilaufstall mit genügend Platz gebaut hatten, dauerte es etwa zwei bis drei Jahre, bis die Herde ihre interne Kommunikation so geregelt hatte, dass die Tiere in Ruhe sehr nahe beieinander liegen konnten und ihre Hörner nicht mehr einsetzten, um ihrer jeweiligen Kontrahentin Schmerzen zuzufügen. Heute brauchen die Kühe, um in Gruppen liegen zu können, die Hälfte des Platzes, den sie vor 3 Jahren benötigt haben. Der grösste Teil aller Konflikte wird durch Drohungen und Weichen, durch Kommunikation und Stressabbau mittels Vergrösserung der Distanz zur Kontrahentin gelöst. Wir beobachten auch, dass das Horn sehr breit eingesetzt wird: um den Körper zu reinigen und die Kuh kann sich damit den Rücken kratzen. Wir beobachten auch Kühe, die sich gegenseitig mit den Hörnern kratzen, und wir beobachten sogar Kühe, die am Horn ihrer Freundin ihre Augen ausputzen. Man stelle sich vor, wie viel Vertrauen es zwischen zwei Freundinnen braucht, damit sie ihre empfindlichste Stelle, das Auge, an der Spitze des Horns der Freundin kratzen und reinigen (...).

Das Horn ist gefüllt mit einem Knochen, der einerseits von einer stark belebten Nervenhaut umgeben und äusserst kräftig durchblutet ist. Darum sind die Hörner auch sehr warm. Es ist sehr gut vorstellbar, dass die Kuh dieses Horn millimetergenau einsetzen kann, weil eben viel Bewusstsein in den Hörnern vorhanden ist. Immer wieder hört man von Verletzungen, die durch Hörner geschehen, von Kühen untereinander und bei den Menschen, die die Kühe betreuen. Bauern haben Augen verloren durch Schläge oder Stösse der Kühe oder abrupte Bewegungen, die von den Kühen ausgegangen sind und unglücklicherweise den Kuhhirten trafen. Da braucht es wirklich viel Vorsicht, Umsicht und Erfahrung, um sich in einer behornten Herde zu bewegen. Es kann eine Kontrahentin sein, die aus 20 Meter Entfernung eine andere Kuh dazu bringt, abrupte Bewegungen zu machen, unabhängig davon, ob jetzt ein Mensch nahe bei ihr ist. Diese Bewegungen sind aber nie zufällig und können in den allermeisten Fällen vorhergesehen werden. Vorausgesetzt, man versteht die Sprache, die kommunikative Bewegungssprache der Kühe.

Die Hörner sind also nicht nur Kampfinstrumente, wie meist angenommen, sondern Instrumente zur Kommunikation, um den Kampf zu vermeiden. Eine Kuhherde ohne Hörner muss andere Strategien entwickeln, um diesen Stressabbau leisten zu können. Die Hörner befähigen die Kuh, Konflikte zu lösen, bevor es zum Kampf kommt, erlauben ihr eine hochdifferenzierte soziale Sprache durch Bewegung, Aktion und Reaktion. Das macht die Kuh sicher, fördert ihre individuelle Entwicklung und Ausdrucksfähigkeit und gibt ihr die Möglichkeit, die Umgebung zu beherrschen und eine innere Ruhe zu entwickeln. So kommt ihr ureigenes Wesen besser zum Ausdruck (und ihre Schönheit, wenn ur-rassengerecht mit Hörnern aufrecht und stolzer auf der Weide stehend -  Anmerkung von Fromage Mauerhofer).

Hörner leisten noch auf einem zweiten Weg wesentlichen Beitrag zum inneren Wohlbefinden der Kuh. In einem anderen Kapitel dieses Buches wird beschrieben, wie die Kuh ihren in einem so wunderbaren Gleichgewicht befindlichen Innenraum nur bilden kann, wenn sie sich durch eine zusätzliche Massnahme von der Umgebung absetzt. Genau diese Absatzbewegung erreicht ihren Höhepunkt in der lebenslangen Horn- und Klauenbildung der Kühe, die als Reaktion und Regulierung einer hohen Empfindlichkeit organisch einen inneren Raum entstehen lässt, in dem sich die Gleichgewichtskräfte durch den Rhythmus der Verdauung in hohem Masse entwickeln können, wie es die Kuh eben für ihre Aufgabe des Raufutterverdauens braucht. Wir können dem Horn also durchaus eine zusätzliche Rolle bei der dynamischen Innenraumbildung und damit der Verdauungsqualität der Kuh zuordnen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Milch von Kühen mit Hörnern eine andere Kristallstruktur in bildschaffenden vergleichenden Kristallisationsuntersuchungen aufweist als bei enthornten Kühen.»